Werteerziehung

 

„Warum muss ich jetzt mit dem Spielen aufhören? Immer dieser blöde Sitzkreis. Warum soll ich eigentlich schon wieder Hausaufgaben machen, draußen ist es viel schöner? Warum kann ich jetzt kein Eis mehr essen.“ Die Reihe der „warum-Fragen“ ließe sich fortsetzen. „Warum muss ich mir dies von meinem Kind alles anhören?“ Warum-Fragen suchen nach einer Rechtfertigung. Sie fordern uns auf der Werte-Ebene heraus. Antworten wir auf diese Fragen, werden Werte sichtbar und verständlich. Geschieht dies nicht, so wird die Fragerei nicht aufhören. Wir brauchen der Frage mit dem Warum eine „werte-volle“ Antwort. Häufig geschieht es dass wir den Kindern Fähigkeiten, Gefühle, Kompetenzen oder Ziele anbieten. Diese Formen der Antwort stillen unseren Hunger nach den Werten nicht. Wieso ich mir von meinem Kind das alles anhören muss? Weil es und ich Würde haben. Weil dadurch Ehre erfahren, wenn wir so tolle Kinder groß gezogen haben. Weil ich zuverlässig, also treu, mir selbst und meinem Kind gegenüber bin. Weil….

 

Werte sind positive Orientierungen, die wir mit anderen Menschen teilen. Sie bilden sich in Regeln, dem Recht ab, werden kulturell unterschiedlich interpretiert, haben ihre Wurzeln in den sozialen Bedürfnissen von uns Menschen, werden durch Rituale immer wieder in Erinnerung gerufen und manifestieren sich in den alltäglichen Strukturen. Diese funktionale Beschreibung eines Wertes macht es möglich mit Werten vielfältig umzugehen. Sie brauchen eigentlich nur noch benannt und ins Gespräch gebracht werden.

In vielen Diskussionen werden die Werte mit Zielen, Gefühlen, Wünschen, Fähigkeiten oder Strukturen verwechselt. Wodurch sich Werte von allen diesen anderen wichtigen Bereichen unterscheiden. Werte sind ambivalent. Sie sind erstrebenswert, dienen als Orientierung, sind aber eigentlich nicht zu 100 % zu erreichen. Aus diesem Grund kommt es an den Werten auch immer zu einem Scheitern. Dies ist vielleicht auch einer der Gründe, wieso wir so ungern darüber sprechen. Werte konfrontieren uns mit unserem Menschsein. Zu diesem gehört Scheitern und Neubeginn. Zu diesem Scheitern gehört die Fähigkeit mit viel Bescheidenheit auf unser Streben zu schauen, sich an diesen Werten zu orientieren und immer wieder zu erleben, dass wir in unserer Einzigartigkeit fehlerhaft sind. Wir können nicht immer der Wahrheit nachgehen, ebenso wenig sind wir in jedem Augenblick unseres Lebens gerecht. Wir können es anstreben.

Im WIR-Projekt wird dieses Scheitern zur Möglichkeit sich weiter zu entwickeln. Als Beispiel ist die Stopp-Hand eine Methode, die wirken kann, aber wie schnell wird die offene Hand zur Faust oder das klare Stopp zur Spieleinladung. In den Gesprächen ist dieses Scheitern die Möglichkeit nachzuhaken und nach den nächsten Alternativen zu fragen. Ähnlich ist es mit dem Bearbeiten des Konfliktes. Wir dürfen uns selbst und dem Gegenüber treu sein.

 

Werte sind systemisch

Werte, nach dem ATCC-Ansatz, sind wie eine Perlenkette systemisch miteinander verbunden. Mit einem Werterad lässt sich das Zusammenspiel der Werte ebenfalls gut darstellen. Favorisieren wir einen Wert, so werden die anderen in ihrer Bedeutung verändert. Wird Freiheit absolut über die anderen Werte gesetzt, so leidet z.B. unser Streben nach Gesundheit, Gleichheit oder Gerechtigkeit darunter. Ähnlich ist es bei anderen Werten.

In der Arbeit mit den Kindern, erleben wir häufig wie Interessen oder Ziele in den Vordergrund gerückt werden. Das ist in der Regel auch leichter. So kann ein Ziel, die zuverlässige Abgabe der Hausaufgabe sein. Der dahinterliegende Wert ist die Treue oder auch Zuverlässigkeit. Hat ein Kind einmal offensichtlich Angst einzugestehen, dass es lieber draußen gespielt hat, als die Hausaufgabe zu machen, ist es wertzuschätzen, wenn es die Wahrheit sagt. Dennoch ist diese Zuverlässigkeit beizubehalten und die Hausaufgabe nachzuarbeiten. Damit bleibt die Lehrkraft sich selbst und den anderen Kindern treu. Eine andere Möglichkeit ist dies zu thematisieren und das Dilemma zu verdeutlichen. Durch dieses systemische Zusammenspiel werden die Dilemmata unvermeidlich. Wieso, dies nicht offen zeigen, dass wir immer wieder in solche Dilemmata geraden. Manches Mal kämpft die Freiheit gegen die Gesundheit, die Schönheit gegen die Gerechtigkeit usw. Auch dies ist eine wichtige Arbeit an dem Thema der Werte.

 

Werte als Grundlagen

Werte unterstützen Kinder in der Behauptung gegenüber dem Elend, das sie umgibt. Konnten Kinder einige Grundwerte in sich verankern, gelingt es ihnen leichter diese Kraft des Guten – Resilienz – zu nutzen. Werte brauche in der Vermittlung eine Authentizität. Wenn Kinder das Ringen und die Zweifel einer Lehrkraft oder ErzieherIn spüren, erhalten sie einen unmittelbaren Zugang zu dem was einen Wert ausmacht. Dies ist ein Risiko, wird aber von den Kindern mit der ihnen eigenen Hingabe verinnerlicht. Werden Interessen und Ziele statt der Werte vermittelt, so werden Kinder – mit Recht – nach dem suchen was hinter diesen Interessen zu finden ist. So wird eine reine Lernstoffvermittlung in einer Grundschule nicht gelingen. Kinder suchen die Lücken und damit den Kontakt zu einem authentischen Menschen. Finden sie ihn nicht, so werden sie so lange dran bleiben, bis er sichtbar wird. Dadurch ist es leichter unmittelbar auf die Gefühle und Bedürfnisse eines Kindes und sich selbst einzugehen. Die Klärung des Problems kann vielleicht sogar verschoben werden.

In diesem Sinn ermutigen wir in dem WIR-Projekt die Lehrkräfte einen authentischen Weg zu wählen. Kinder brauchen dies. Wagen sie es, mit den Kindern, nach Antworten für ein Problem in der Klasse zu suchen. Wägen sie die Dilemmata ab und halten sie es aus, dass für solche Entscheidungsprozesse vielleicht mehrere „Elefantenrunden“ oder „Klassenkonferenzen“ notwendig sind. In der Frage, was brauche wir, damit wir in der Klasse weiterarbeiten können, ist eine Werte-Frage. Diese nur mit Vorsätzen zu füllen wird nicht wirken.

 

Die 10 Werte und kleine Tipps zu Umsetzung und Thematisierung: (Es gibt dazu eine WERTE-Flyer, der von uns bezogen werden kann.)

 

Wahrheit: Durch das Bestreben wahre Aussagen zu treffen, vermitteln wir unserem Gesprächspartner die Sicherheit und Orientierung, die für ein gelingendes Gespräch gebraucht werden.

Spiel: Lüge und Wahrheit – Der Reihe nach erzählen die Kinder drei Dinge, die sie sehr gut können. Eine der drei Aussagen ist jedoch falsch. Die anderen Kinder sollen dies heraus finden. Es kann ruhig die Frage gestellt werden, woran sie die „Lüge“ erkannt haben. Das hilft für den nächsten Konflikt ungemein.

 

Gerechtigkeit: Wie werden vorhandene Güter verteilt? Dies ist die Grundfrage dieses Wertes. Ist es gerecht, dass alle das gleich bekommen, oder jede so viel wie sie will?

Übung: Alltäglich bei der Frage der Essensverteilung oder des Pausenbrotes. Eine nette Verteilungsübung ist die Aufteilung eines Kuchens. Mit der Frage, wie soll ich jetzt diesen Kuchen in der Klasse aufteilen? Weiter Übungen gehen in Kombination mit Mathematik. Gleichungen sind nicht gerecht? Was wäre der Unterschied?

 

Würde: Ich bin in Würde – von Geburt an! Würde streben wir Menschen an und haben sie aber auch als Versprechen. In Würde sein, bedeutet bei sich und mit sich im Reinen sein.

Übung: Würdevoll gehen. Quer durch den Raum in Würde gehen. Dann mit den Kindern heraus arbeiten, was die Würde bei diesem Gehen ausmacht. Wenn jemand gebeugt mit seinem Smartphone geht, drückt er Würde aus?

Eine weiter Möglichkeit sind Körperumrisszeichnungen. Den inneren Raum mit Würde füllen. Alles was mir Würde gibt soll hinein gezeichnet werden. Hier kann sehr schnell erkannt werden, dass viele Kulturen die Fülle der Würde unterschiedlich wahrnehmen.

 

Ehre: Ehre erreichen wir durch eine Handlung oder Tätigkeit und diese von anderen geachtet wird. Eine „ehren-volle“ Tätigkeit ist mit der Arbeit verbunden.

Übung: Lassen sie die Kinder Menschen mit unterschiedlichen Berufen befragen. „Was gibt Dir in Deiner Arbeit Ehre?“ Die Aussagen mit Fotos aufhängen.

 

Gleichheit: Wir sind gegenüber dem Recht gleich. Dieser Wert wurde im 19. Jahrhundert erkämpft. Keine Person, egal welches Geschlecht diese Person hat oder welche Herkunft, sie darf nicht unterschiedlich vor dem Recht behandelt werden. Die Notengebung ist eine „Errungenschaft“ die aus diesem Wert heraus entstanden ist. Von der Idee her soll jedeR die gleichen Grundbedingungen für seinen Bildungsabschluss haben. So könnte der Arme bessere Noten erreichen, als der Reiche. Das wir von diesem Wert noch weit entfernt sind, kann man sich vorstellen.

Übung: Ein Konfliktgespräch in dem jedeR die gleiche Zeit und Gehör findet. Das ist anstrengend!

 

Schönheit: Wir streben es an durch Schönheit zu gefallen. Wir brauchen eine schöne Umgebung und wir Menschen brauchen es das wir „schöne“ Bilder von diesem Leben haben. In diesem Sinn ist die Bildung zum „Guten und Schönen“ ein wichtiger Bildungswert der Landesverfassungen.

Übung: Suchen Sie in der Schule oder der KiTa mit den Kindern nach „schönen“ Orten. Was ist an diesen Orten schön.