Hervé Ott

Hervé Ott ist am 18.Oktober 2024 gestorben. Er war Mitbegründer des ATCC-Ansatzes. Unsere Zusammenarbeit hat 1990 begonnen. Der Larzac war von 1972-1982 ein Ort des gewaltfreien Widerstandes in Frankreich. Bekannt ist diese Region durch ihren Schafskäse Roquefort.  Es ist eine Hochebene in der Nähe von Millau. Auf dieser Hochebene sollte ein bereits bestehender Militärübungsplatz um das 10fache ausgeweitet werden. Über 100 Bauern sollten enteignet und vertrieben werden. Diese schlossen sich zu einem gewaltfreien Widerstand zusammen und aktivierten eine großen Teil der französischen und internationalen Zivilgesellschaft. Mehr dazu unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Kampf_um_den_Larzac oder der Film auf Arte: Tous au Larzac sur ARTE Boutique,


Hervé war einer der Gründer des Bildungs-und Begegnungszentrums Cun du Larzac. 1987 begannen wir vom FBF unsere Zusammenarbeit. 1990 begannen Hervé und ich gemeinsam eine deutsch-französiche Ausbildung zur interkulturellen Kompetenz, Europe 2000, zu entwickeln und anzubieten. Dieser zweijährige Kurs war unser erstes gemeinsames Experiment mit einer Ausbildung. Es folgten viele weitere Zyklen von Europe 2000. Die Frau, die uns zusammen brachte ist Barbara Peschke, die seit langem auf dem Larzac lebt. Sie war unsere Übersetzerin in all den vielen Begegnungen und Seminaren. 1994 begannen wir mit der Entwicklung einer Trainer*innenausbildung. In der ersten Phase waren die Kurve Wustrow, der Pressehütte Mutlangen, der IFMAN und die Werkstatt für gewaltfreie Aktion Baden an der Entwicklung eines Curriculums beteiligt.  Es entstanden daraus unterschiedliche Format, die auch heute noch in ihrer Unterschiedlichkeit aktiv sind. Hervé und ich entschieden uns, eine vierjährige Ausbildung anzufangen. Sie begann 1997 und war deutsch-französisch-sprachig. Die Teilnehmenden kamen aus unterschiedlichsten Regionen der Welt und Zusammenhängen. Nach dem ersten Zyklus begannen wir die Kurse zu verschränken, so dass alle zwei Jahre ein neuer Kurs begann und von uns im Wechsel inhaltlich begleitet wurde. Unser Team der Ausbilder*innen veränderte sich immer wieder. Im Laufe der Zeit hatten wir die Situation, dass wir viele französische und wenige deutsch Anmeldungen oder umgekehrt hatten. Es war immer schwieriger das deutsch-französische Ausbildungsprogramme zustande kamen. Wir entschieden uns dann für getrennte Angebote. Es entstanden somit Ausbildungen in den jeweiligen Ländern. Hervé und ich arbeiteten weiter in den unterschiedlichsten Bereichen zusammen. So auch in der Entwicklung eines Handbuches für die interkulturelle Arbeit.
Der gemeinsame Ansatz ATCC entstand im Rahmen der Ausbildungen und vor allem in der Entscheidung die Ausbildungen nicht mehr gemischtsprachlich anzubieten. Es war bei einem Seminar in St. Antoine vor gut 20 Jahren als wir beide uns auf eine gemeinsamen Marke einigten. Die Markenbezeichnung ATCC ist französischsprachig. Ich konnte gut damit leben. Es lässt sich übersetzen und inhaltlich vermitteln. Wir beide sind die Schöpfer dieses Ansatzes und hatten jährliche Treffen, um an den einzelnen Bereichen weiterzuentwickeln. Mit der Gründung der nationalen ATCC-Verbände versuchten wir beide ein europäisches Dach aufzubauen und hatten dazu unterschiedliche Treffen. Es gab auch ein deutsch-französisches Jahrestreffen auf dem Larzac 2018. Wir hatten auch immer wieder Versuche unternommen diese Tradition fortzusetzen und zu reaktivieren. Erst dieses Jahr fand in Rodez ein französischsprachiges Seminar statt bei dem ein deutscher Teilnehmer aus der aktuellen Beraterausbildung dabei war. Ich führte dieses Seminar durch und hoffe, dass dies der Anfang für eine weitere Zusammenarbeit sein wird.
Hervé und ich trafen uns regelmäßig im Sommer auf dem Larzac oder zwischen den Jahren in Paris. Wir diskutierten viele Ideen, die sich im Laufe des Jahres entwickelt haben und brachten die Ergebnisse in unsere Ausbildungen ein. Die Pandemie erzeugte eine Unterbrechung. Zwischen den Jahren 22 und 23 verbrachten Sibylle und ich unsere Zeit um Weihnachten in Bormes les mimosas. Es ist ein kleiner Ort an der Côte d´azur. Ich wusste zwar das Hervé in der Nähe des Meeres aufgewachsen ist, doch nicht an diesem Ort. Als Hervé von mir erfuhr, dass wir in Bormes sind, kam er für drei Tage zu uns. Er nahm uns mit auf die Erkundungsreise seiner Kindheit. Wir fuhren die Etappen der Familie Ott ab. Er zeigte uns das Haus in dem er aufgewachsen ist. Er berichtete von einem Blitz der durch den Kamin ins Innere des Hauses schlug und durch die Türe hinaus schoss. Wir schauten uns in Hyères sein Lycée an und ich entdeckte erst mit diesem Besuch, dass unsere Lebenswege noch mehr Gemeinsamkeiten hatten, als ich dachte. Es war eine große Verbundenheit. Vier Monate später erhielt er die Diagnose des Hirntumors. In den letzten beiden Jahren waren die Begegnungen von dem Ringen mit dem Tod geprägt. Die letzte Begegnung war auf dem Markt in Montredon. Es war ein Abschiednehmen auf Raten.
Ich wollte dann noch zu seiner Beerdigung fahren und scheiterte an einem Oberleitungsschaden der Bundesbahn. Nach zwei Stationen im Zug musste ich aussteigen und erreichte meinen Flieger nicht, geschweige denn die Möglichkeit auf den Larzac zu fahren. Sibylle und ich legten in einem Gelände, das dem Larzac sehr ähnelt, ein Mandala mit all den Erinnerungen, die uns mit Hervé verbanden. Wir nahmen damit Abschied von einem Freund und Kollegen. Ich bin traurig, denn ich merkte mit dem Abschied wie wichtig er mir war. Manches Mal machten wir uns den Spaß und gaben uns als Brüder aus. In gewisser Weise waren wir das auch: Brüder im Geiste. Wir haben einen großen Teil unserer Arbeit aufeinander ausgerichtet und waren uns ein wichtiges Korrektiv. Wir spornten uns mit einer gewissen Rivalität an. Jeder von uns beiden hat an dem Gemeinsamen weiter gearbeitet. Jeder auf seine Weise. Die Begegnungen waren immer ein Gewinn und es ist ein Trost, dass die deutsch-französische Verbindung wieder beginnt.